Helga Karpowski

Im Dienst der Polizei

Kurz nachdem ich meinen Dienst in der Polizeiwache begann, kam von der vorhin erwähnten Dienststelle des Reichsführers der SS ein geheimer Befehl, nach dem alle im Gevelsberger Stadtgebiet sich aufhaltenden Zigeuner in der folgenden Nacht zwischen drei und vier Uhr unter Mitnahme der persönlichen Habe abzuführen und anschließend in einem bestimmten Gebäude durch die zuständige Dienststelle zu registrieren seien.

Ich kann mich an das genaue Datum nicht mehr erinnern, weiß aber, dass ich am nächsten Morgen bereits um sieben Uhr zum Sudfeld in ein verlassenes Fabrikgebäude kommen musste, wo sich etwa 30 Zigeuner, vor allem vom Stüting, mit den Polizisten befanden.

Ich musste ihre Personalien aufnehmen, sie hatten ein paar Bündel bei sich, und ich erinnere mich besonders an einen Vater mit erwachsenen Söhnen, weil er sehr höflich war. Als ich die Namen dieser Familie niederschrieb, schob er mir seinen Füller rüber, um ihn mir zu schenken. Er gebrauchte dabei die Worte: „Dort, wohin wir kommen, brauche ich keinen Füller mehr.“ Auch die Habseligkeiten, die sie mit sich führten, wurden aufgenommen. Auf einmal kam ein Lastwagen vorgefahren, alle Zigeuner wurden aufgeladen, und dann fuhr der Lastwagen fort. Ich habe meinen Dienstvorgesetzten gefragt, wohin sie wohl kämen. Er antwortete: „Nach Theresienstadt, dort müssen sie in einem Lager arbeiten.“ Während des Krieges nahmen die Geschehnisse, die für mich damals 17 bis 23jährige immer undurchsichtiger und unverständlicher wurden, zu. Es gab Verhöre, bei denen man mich ausschloss und mir bedeutete, dass kein Protokoll notwendig sei; solche ‚Vernehmungen‘ fanden im Keller des Dienstgebäudes statt.

Bei Vernehmungen von Kriegsgefangenen wurde eine Zivilperson hinzugezogen, die die jeweilige Landessprache beherrschte, wobei es auch zu aggressiven Handlungen mit dem Gummiknüppel kam. Dreimal wurde ich Zeuge solcher Vorfälle.

Besonders entwürdigend fand ich, dass ein Gevelsberger Fabrikant mit seiner Tochter drei Tage lang inhaftiert wurde, weil ihnen vorgeworfen wurde, freundschaftliche Beziehungen zu einer Russin zu unterhalten.

Widerlich war auch das Verhör von zwei Frauen, denen intime Beziehungen zu französischen Kriegsgefangenen nachgesagt und die nun in allen Einzelheiten nach der Art ihrer Beziehungen vernommen wurden. Beide kamen nach Ravensbrück ins „Arbeitslager“.

Quelle: Bürger erinnern sich. Ein Lesebuch für Erwachsene zur hundertjährigen Geschichte der Stadt Gevelsberg, Hrsg. Stadt Gevelsberg 1987